Sagen sind vom Volk überlieferte, durch die Zeit veränderte Ereignisse und Tatsachen. So gibt es Sagen über die Gründung der Stadt, vom Bau des Domes, Haussagen, Sagen um wundersame Dinge und vieles mehr. Einige will ich hier wiedergeben.
Da ich von einigen Sagen verschiedene Fassungen gefunden habe, die zwar dasselbe aussagen aber vollkommen anders erzählt sind, habe ich die Sagen größtenteils aus "Aus Magdeburgs Sage und Geschichte, W. Leinung und R. Steinvoll, Verlag Julius Naumann, 1894" und "Sagen der Stadt Magdeburg, Fr.Hülße, Albert Rathke's Verlag, 1895" übernommen. Aus welcher Quelle ich die jeweilige Sage verwendet habe, ist am Ende der Sage vermerkt.
Beim Lesen der Sagen sollte man bedenken, dass die Geschichten schon vor über 100 Jahren aufgeschrieben wurden.
Von der Gründung und dem Namen der Stadt
Mit Stolz sprechen die alten Geschichtsschreiber der Stadt Magdeburg von der alten Stadt Magdeburg und nennen sie gern nicht nur die älteste der sächsischen Städte, sondern auch die Hauptstadt des alten Sachsenlandes. Wir dürfen dabei nicht an die Hauptstädte unserer neuen Zeit denken, wohl aber war es Jahrhunderte lang die bedeutendste Stadt des östlichen Sachsenlandes. Und nicht nur die Geschichtsschreiber, auch der Rat und die Bürgerschaft nannten sich Rat und Bürgerschaft der "alten Stadt Maideborg", nicht im Gegensatz zur Neustadt, sondern im stolzen Selbstgefühl des hohen Alters ihrer heimatlichen Stadt. Und in der Tat wird es nicht mehr lange dauern, so können Magdeburgs Einwohner zurückblicken auf das tausendjährige Bestehen ihrer Stadt, nicht auf den sagenhaften Ursprung, sondern auf das durch Geschichtsschreiber und Urkunden bezeugte Vorhandensein derselben seit dem Jahre 805. Aber damals ist Magdeburg nicht erst begründet worden; sein Ursprung reicht noch weiter zurück und keine sichere Kunde ist der Nachwelt überliefert, wann hier die ersten festen Ansiedlungen entstanden. Wenn wir freilich den Angaben der Geschichtsschreiber des Mittelalters Glauben schenken dürfen, so war hier an den Ufern des Elbstroms schon von dem Römer Julius Cäsar eine Stadt oder ein Kastell gegründet worden, die er zu Ehren der jungfräulichen Göttin Diana, Jungfrauenstadt (Parthenopolis) genannt habe. Er habe auch einen Tempel dieser Göttin erbaut und Priesterinnen zum Dienst derselben eingesetzt. Man bezeichnete auch als den Ort, wo der Tempel errichtet wurde, den Raum des Marien-Magdalenenklosters, wo vorher eine Burg, das sogenannte Burggrafenschloss gestanden. Andere aber setzten den Tempel weiter stromaufwärts, an das südliche Ende der Stephansbrücke, wo noch zur Zeit Dr. Martin Luthers eine St. Stephanskapelle stand, denn erst Karl der Große sollte auf einem Zuge gegen die Sachsen hier den heidnischen Tempel zerstört und an Stelle desselben eine christliche Kirche, eben das St. Stephanskirchlein, erbaut haben, oder auch da, wo nach anderen Bericht die erste St. Stephanskapelle gestanden haben soll, nämlich an der Stelle der späteren sogenannten Eselskirche neben dem Hospital St. Gertraud die seit einigen Jahren vollständig abgebrochen worden ist.
Andererseits gibt es Geschichtsschreiber, die die Stadt nicht von Cäsar, sondern etwas später von dem Römer Drusus, dem Stiefsohn des ersten Kaisers Augustus, gegründet werden lassen. Späterhin trat an die Stelle der Göttin Diana die Venus mit ihren Priesterinnen. Ja, ein Magdeburger Geschichtsschreiber aus dem 16. Jahrhundert, Andreas Werner, Prediger in dem benachbarten Wolmirstedt, erzählt, dass Cäsar die Stadt zum Wohlgefallen seiner Geliebten, Namens Parthena, gebaut und benannt habe. Dann soll er dieselbe durch kaiserliches Gebot, denn Cäsar ist ihm römischer Kaiser, unter die Zahl der Götter versetzt und ihr sodann ein Heiligtum, Tempel der Venus, hart am Elbstrom erbaut, ihr Bildnis hineingesetzt und ihr etliche nackende Jungfrauen zugeeignet haben, die die Tempeldienste versehen sollten.
Wie gläubig man noch im 16. Jahrhundert diese Gründungssagen annahm, zeugt der Umstand, dass man damals sogar noch das Bildnis der Göttin Venus, wie es von Cäsar oder Drusus aufgestellt worden war, zu kennen meinte. Es gibt selbst Münzen der Stadt, die solche Abbildung zeigen. Folgendermaßen wird das Bildnis der Venus und ihrer Dienerinnen, Grazien oder auch Töchter der Venus genannt, beschrieben:
Auf einem goldenen Wagen stand ein schönes, nacktes Weib mit klaren, lieblichen Augen und mit schönen und langen blonden Haaren, die aufgelöst bis zum Knie herabhingen. Auf dem Haupte trug sie einen Kranz aus Myrthen und roten Rosen gewunden, und in ihrem lachenden Munde hielt sie eine geschlossenen Rose; auf der Brust hatte sie eine brennende Fackel und einen Pfeil aus dem Herzen gehend. (Alles Abzeichen der Liebesgöttin.) In der linken Hand trug sie die Weltkugel, in der Himmel, Meer und Erdreich abgeteilt war, in der rechten aber drei goldene Äpfel. Hinter ihr auf dem Wagen standen die drei Chartinnen oder Grazien, wie der Chronist aber sagt, die Göttinnen der Holdseligkeit, Freundlichkeit und Dankbarkeit, ebenso wie die Venus selbst, nackend, die Arme ineinander verschränkt, und reichten einander einen goldenen Apfel zur Verehrung dar, und zwar so, dass ihn eine der anderen mit abgewandtem Gesicht darbot. Den goldenen Wagen, auf welchen die Göttinnen standen, zogen zwei weiße Schwäne und zwei weiße Tauben.
Derartige Abbildungen findet man bei dem Magdeburger Johannes Pomarius, in seinem Buche, das er "Summarischer Begriff der Magdeburgischen Stadtchroniken" betitelt hat, und in gleicher Weise auch noch bei späteren Geschichtsschreibern, wie in dem vielfach bekannten Buche von Bulpins, "der Stadt Magdeburg Wunderbare Herrlichkeit". Eine etwas abweichende, aber in den Hauptzügen gleiche Abbildung findet sich in dem lateinisch geschriebenen Buche eines Magdeburgischen Geistlichen G. Torquatus, deutsch Halsband genannt, der 1575 als Prediger in der Neustadt starb. Hier ist der Wagen ein gewöhnlicher Leiterwagen, und die Schwäne sehen mehr wie gewöhnliche Gänse aus.
Wir können diese Sagen von römischen Ursprunge nur als eitle Dichtungen einer frühen Zeit ansehen, die sich bemühte aus allzugroßer Hochachtung für die Römer, diese als die Begründer unserer alten Stadt auszugeben, zugleich aber auch damit das Alter Magdeburgs bis in die graue Vorzeit zurückzuversetzen. Aber es gibt auch noch andere Sagen von dem Ursprunge der Stadt, die jedoch gleichfalls keine größere Wahrscheinlichkeit als jene beanspruchen können. Sie stehen alle mit dem Namen der Stadt in Beziehung und suchen gerade diesen zu erklären. So lautet ein fabelhafter Bericht: Einstmals wohnte hier in der Gegend an der Elbe ein Volk der Amazonen, kriegerische Frauen, wie man solche Amazonen aus den Sagen der alten Griechen kannte. Diese wehrhaften Frauen und Jungfrauen (Mägde) bewohnten eine feste Burg, die, weil sie von Mägden erbaut war, daher auch die Burg der Mägde, d. h. Magdeburg, genannt wurde. Eine solche Burg und solches Volk von Amazonen fand Otto der Große vor, als er in diese Gegenden kam, und ihm übergaben sie Land und Burg; den Namen aber behielt der Ort bei. Darum aber führten die Magdeburger noch eine Jungfrau in ihrem Banner, die aufgerichtet zwischen zwei Türmen steht und in der Hand einen Rosenkranz hält. Das sie aber aufrecht steht, sollte andeuten, dass die Burg noch nicht bezwungen worden ist.
Weiter berichten andere, dass der Ort und die Burg von dem Volke der Sachsen angelegt worden sei, als Schutzwehr gegen die benachbarten Wenden und Slawen, denn hier trafen die Grenzen beider Völker zusammen und sicherlich werden gerade die letzteren immer wieder Anstrengungen gemacht haben, die reichen Gefilde dieser Gegend in ihren Besitz zu bekommen. Um so hartnäckiger aber wehrten sich die tapferen Sachsen und es ist jenen in der Tat nicht gelungen, hier in größerer Anzahl festen Fuß zu fassen. Die Sachsen hätten nun den hier angelegten Ort oder Burg nach ihrer Göttin Freia genannt, oder wie andere sagen, nach der Ostara, der jungfräulichen Frühlingsgöttin, die in diesen Gegenden von den alten Sachsen verehrt worden sei. Es ist die Göttin, deren Namen sich noch in unserm christlichen Osterfeste erhalten hat. Wenn im Frühjahre die Tage länger wurden, da feierte man das Frühlingsfest und opferte der Ostara, der Gottheit des aufsteigenden Lichts und des strahlenden Morgens. Daher auch die Osterfeuer, die an vielen Orten noch heutigen Tags auf den Höhen der Berge angezündet werden. Ein Irrtum aber ist es, wenn man annimmt, dass die Sachsen zugleich ein Heiligtum, einen Tempel dieser Göttin errichtet hätten, und dann versetzt man diesen an dieselbe Stelle, wie von anderen den der römischen Göttin Venus. Denn die alten Germanen haben ihren Göttern keine solche Heiligtümer erbaut, den man den alten griechischen und römischen Tempeln oder den späteren christlichen Kirchen vergleichen könnte. Und ebenso wäre es zu erwarten, dass nicht der Name "Magd", sondern Ostara bei der Benennung des Ortes gebraucht worden wäre.
Gleichwohl wollen wir uns dafür entscheiden, dass unsere Stadt eine alte Gründung der Sachsen ist und bis um das Jahr 550 zurückreicht, aber nur als Schutzwehr und Grenzfeste diente und erst viel später, zu den Zeiten Otto's I., die Bedeutung einer wirklichen Stadt erhielt. Damit weisen wir aber zugleich auch die übrigen Deutungen des Namens unserer Stadt zurück, die man derselben sonst zu geben versucht hat. Denn wie es unmöglich ist, dass Otto I. selbst den Namen Magdeburg der Stadt beigelegt habe, zu Ehren seiner Gemahlin Editha, da ja schon lange vorher der Name Magdeburg vorkommt, ebenso wenig ist anzunehmen, dass Karl der Große dem Orte, der dann auch von ihm selbst gegründet sein soll, den Namen nach der heiligen Jungrau Maria, der Mutter unseres Herrn, der reinen Himmelsmagd, gegeben habe. Denn so ansprechen auch diese Deutung wäre, so war doch in jener Zeit die Verehrung der Jungfrau Maria noch keine so allgemeine, dass man die Benennung eines Ortes in hiesiger Gegend annehmen könnte; andererseits würde sicherlich dies Wort Maria (Marien) angewendet sein, wie wir dies an so vielen später entstandenen Namen ersehen. Am allerwenigsten hängt der Name mit dem bei einem alten Schriftsteller vorkommenden Namen Mesovium oder Mesuvium zusammen, denn dieser Name ist in eine ganz andere Gegend zu versetzen. Wir sehen daraus, wie schwer es hält, eine sichere Deutung des Namens zu geben. Wahrschein aber ist doch in dem Wort "Magd" eine Beziehung auf irgendwelche Gottheit der alten Germanen (Sachsen) enthalten, nur daß nicht eine bestimmte benannt werden kann. Darauf geht auch eine der neuesten Deutungen des Namens, die den letzteren mit dem der Magetheide (d.h. Mädchen- oder Jungfernheide) zusammenbringt. In jener Zeit nämlich, in die wir die Gründung unseres Ortes zurückversetzen, und in der sicherlich schon die slavischen Völkerschaften bis über die Elbe vorgedrungen waren und die heutige Altmark eingenommen hatten, zogen sich große Waldungen und Heiden an den Grenzen des Landes hin von der Lüneburger Heide an bis zu der Elbe bei Magdeburg, die alle den Namen Magetheide führten und später sogenannte kaiserliche (königliche) Bannforsten waren. Wenn man noch eine Vermutung anstellen will, so könnten die Mägde oder Jungfrauen, denen jene Grenzheiden geheiligt waren, wohl die Walküren sein, die Schlachtjungfrauen der alten Germanen, welche diejenigen Helden auswählten, die zum Tode auf dem Schlachtfelde bestimmt waren. Sie reiten über das Schlachtfeld hin auf ihren Wolkenrossen und Tau trieft von den Mähnen ihrer Rosse. So bringen sie die Toten in die Walhalla des Odins, des höchsten Gottes, um ihnen hier bei den Trinkgelagen den göttlichen Meth zu schenken. Sie erscheinen auch als die bekannten Schwanenjungfrauen, die ihr Schwanenhemd anziehen, wenn sie durch die Luft und über das Wasser reiten. Da nun der von den Sachsen gegründete Ort am Ende und in der Magetheide lag, so könnte es nicht unwahrscheinlich sein, daß man dem neuen Ort eben deshalb, weil er in der Magetheide lag, den Namen die Burg der Mägde, Magdeburg, gab. So wäre doch eine uralte Beziehung auf die alten Gottheiten der Sachsen in dem Namen enthalten, eine Beziehung, die freilich immer dunkel bleiben wird.
So viel von den Sagen und den Berichten von der Gründung der Stadt Magdeburg und den Namen derselben, soweit sie auf germanische, d. h. sächsische Ansiedler sich erstrecken. Wohl aber liest man auch von der Gründung eines Ortes und einer Burg durch die slavischen Wenden, die sich hier noch vor den Zeiten Karl des Großen an dem linken Ufer der Elbe festgesetzt hatten. Auch da wird erzählt, daß die Wenden ihrer Göttin Seba oder Sewa einen Tempel oder Heiligtum erbaut hätten; sie wären aber bald wieder von hier verdrängt worden. Daran knüpft sich eine hübsche Sage, die auf späteren Blättern erzählt werden wird. In der Geschichte weist aber nicht darauf hin, daß die Wenden jemals hier längere Zeit gesessen und einen festen Ort gegründet haben.
Zum Schluß möge noch eine artige, poetische Auffassung Platz finden, die zwar für die Jungfrauen der alten Stadt Magdeburg sehr schmeichelhaft, aber doch eben nur als ein poetischer Versuch anzusehen ist, zu den damals gewöhnlichen Erklärungen des Stadtnamens noch einen neuen hinzuzufügen. Der Dichter Peter Lotichius (im 16.Jahrhundert) schreibt in einer lateinischen Elegie, die er an seinen Freund Markus Eridanus richtete, über die Bedeutung des Namens:
Wie ist der uralten Stadt am kräuternährenden Elbstrom,
Die nach den Jungfrauen heißt, treffend ihr Name gewählt!
Da sie der Mädchen so viel lieblichen Antlitz, o Markus,
Wenn auch entstammt nur dem Blut mittlerer Stände, besitzt.
Wenn auch König Otto, der späterhin 962 auch die Würde eines römischen Kaisers erhielt und daher in der Geschichte gewöhnlich Kaiser Otto genannt wird, nicht der erste Erbauer unserer Stadt Magdeburg gewesen ist, so können wir ihn doch immerhin als den eigentlichen Begründer derselben bezeichnen. Was er für Magdeburg gethan hat, wird noch weiterhin erwähnt werden, aber das mag schon hier gesagt sein, daß durch die Verleihung von Freiheiten an die Bewohner des Ortes, der dem neugegründeten Erzstifte zugehörte, derselbe bald zu einer wirklichen Stadt emporblühte. Daher haben die Magdeburger aller Zeiten mit dem Gefühl größter Dankbarkeit seiner gedacht und die Namen Magdeburg und Otto sind für ewige Zeiten verbunden. Schon frühzeitig haben Magdeburgs Bürger ihren größten Gönner und Beschützer durch Errichtung eines stattlichen Denkmals geehrt. Dasselbe hat die Ungunst der Zeiten und selbst die schreckliche Zerstörung der Stadt im Jahre 1631 überdauert, und so steht es heute noch auf dem Marktplatz der Stadt als ein Wahrzeichen ihres Alters und ihrer Größe. Wann das Reiterstandbild Ottos des Großen errichtet worden, ist nicht überliefert, aber wahrscheinlich wurde es gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts errichtet, in einer Zeit, als der Bürgersinn der Magdeburger nach Hohem strebte. Damals suchten sich diese frei zu machen von der Abhängigkeit des Erzbischofs und erreichten es in der That, daß sie die Ausübung der höchsten Gerichtsbarkeit in dem Weichbilde ihrer Stadt erhielten, als sie um eine hohe Summe das Schultheißenamt erkauften und der Erzbischof sich verpflichtete, das Amt eines Burggrafen, das mit dem Gelde der Stadt von den Herzögen von Sachsen zurückgekauft war, keinem anderen jemals zu übergeben. So waren die Bürger Herren ihrer Stadt geworden und um nun aller Welt zu zeigen, daß ihre Stadt und deren Gerechtsame vom Kaiser herzuleiten sei, so errichteten sie eben als ein Wahrzeichen davon das Standbild des Kaisers in einer für jene Zeit unübertrefflichen Weise. Die Bürger Magdeburgs setzten ihren Stolz darein, die Macht und den Reichtum der Stadt zu zeigen, und noch heutigen Tages nimmt das Denkmal, das in Deutschland einzig in seiner Art ist, die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Kunst- und Altertumsfreunde in Anspruch. In dem Laufe der Jahrhunderte ist es natürlich mehrfach ausgebessert worden und als die äußere Ueberdachung bei der Zerstörung der Stadt beschädigt worden war, wurde es sehr bald (1651) wieder erneuert. So viel gab man damals auf das Wahrzeichen der städtischen Selbstständigkeit, daß man dies völlig herstellte, ehe noch die Häuser der Stadt sich aus den Trümmern erhoben hatte.
Auf einer auf einem Sockel ruhenden steinernen Platte steht das eigentliche Standbild. Der Kaiser, dessen jugendliches, bartloses Gesicht einen edlen, aber energischen Ausdruck zeigt, sitzt in aufrechter, ruhiger Haltung auf einem stillstehenden Pferde. Die linke Hand zieht den Zügel des Pferdes an, wie um es am Weiterschreiten zu hindern, die rechte streckt ihre zwei Schwurfinger vor und zeigt nach unten, gleichsam um den Platz anzuzeigen, auf dem die Stadt Magdeburg sich erheben sollte. Das Haupt, von herabwallendem Haar umgeben, wird von einer einfachen, oben offenen Zackenkrone bedeckt. Von den Schultern des Kaisers hängt ein langer Mantel herab, während der Oberkörper von einem bis auf die Knie reichenden, weitem und faltigen Rocke mit enganschließenden Aermeln bekleidet ist, der durch einen Gürtel festgehalten wird. Unter dem Gürtel befindet sich noch ein besonderes Wehrgehenk, in dem das mit einem kreuzförmigen Griff versehene Schwert steckt. Die Bekleidung der Beine schließt eng an und die der Füße bestehen aus Schuhen, die weder Absätze noch Sohlen zeigen. Die Füße stehen in Steigbügeln, die ganz so wie die jetzt gebräuchlichen sind; beide waren ursprünglichen aus Sandstein, doch ist der linke durch einen eisernen ersetzt. Das Sattel- und Riemenzeug des Pferdes ist einfacher Art, der Sattel selbst zeigt hohe Vorder- und Rücklehnen, und auf denselben liegt noch ein besonderes Sattelkissen und eine Satteldecke. Die ganze Reiterstatue, auch das Pferd, war von Anfang an vergoldet, doch war späterhin letzteres nach den Angaben der Geschichtsschreiber weiß.
Schräg vor dem Kaiser, hart am Rande der Platte, steht auf jeder Seite eine weibliche Figur, etwas kleiner als Menschengröße. Beide Figuren zeigen lebensvolle, der Natur nachgebildete Gesichter; sie sind mit Stirnbänder geschmückt, unter denen die Haarflechten auf den Rücken herabwallen. Bekleidet sind sie mit langen, gürtellosen Kleidern, die mit Aermeln und auf der sehr markierten Brust mit AgraffenSchmuckschließe, sie dient dem Zusammenhalten zweier Kleidungsstücke geschmückt sind. Die Figur zur Linken des Kaisers hält einen großen, dreieckigen Schild vor sich, auf dem früher der Reichsadler aufgemalt war. Die andere trug in der linken Hand eine Fahne, von der aber nur der Stumpf innerhalb der Hand übrig ist. Die alten Magdeburger hielten beide Figuren für die Editha und Adelheid, die beiden Gemahlinnen Ottos, allein wahrscheinlich ist es doch, das sie nach der Gewohnheit des Mittelalters nur symbolische Figuren darstellen sollen, etwa die Tapferkeit und Weisheit. Sollten es Ottos Gemahlinnen sein, würden sie gewiß mit königlichen Schmuck geziert sein.
Eine wunderbare Sage war und ist auch wohl jetzt noch unter dem Volke verbreitet, nämlich die, daß Kaiser Otto in jeder Neujahrsnacht, Punkt 12 Uhr, seine Stellung verändere und eine vollständige Wendung mache.
Neben Otto war aber, wie gesagt, seine erste Gemahlin Editha, oder wie der Name sonst lautet, Edgith, hoch geehrt von den Bürgern Magdeburgs. Und wie bekannt, wird mit ihrem Namen der Bau der ersten steinernen Stadtmauer verknüpft, denn ihr gehörte der Ort oder die Stadt an, da sie sich dieselbe selbst als Morgengabe, d. h. als einstiges WittumIm deutschen, mittelalterlichen Recht wurden damit auch die Witwenversorgung aus dem Nachlass genannt, da auch diese „gewidmete Güter“ waren. (WIKIPEDIA) auserkoren und erbeten hatte. Noch in der späteren Zeit galt das königliche Paar als ein Vorbild treuer Gattenliebe, wie auch Otto nach dem frühzeitigen, schmerzlichen Tode seiner Gemahlin Editha noch das Lesen erlernt hatte, um zum Seelenheil derselben selbst in den heiligen Schriften der Kirche lesen zu können. Und doch war eine Werbung um die fremde Königstochter eine eigenartige.
Editha war die Tochter des 928 verstorbenen Königs Eduard von England und die Schwester von dessen Nachfolger Aethelstan. Bei diesem ließ König Heinrich I., der Vater unseres Otto, um die Hand der Schwester für seinen Sohn werben, und bereitwillig ging der englische König auf diese Werbung ein, da er sich hochgeehrt fühlte, daß der mächtige König der Deutschen in eine verwandtschaftliche Verbindung mit seinem Hause treten wollte. Aethelstan schickte aber nicht blos die ältere Editha, sondern auch deren jüngere Schwester Elgisa nach Deutschland, damit der junge 17jährige Königssohn unterbeiden Schwestern nach seinem Gefallen eine Wahl treffen sollte. Von einer Schar auserwählter Ritter geleitet, fuhren die beiden Königstöchter über die See und den Rhein bis Köln hinauf, wo sie auf deutschem Boden landeten. Dem jungen Otto fiel die Wahl nicht schwer, denn die natürliche Anmut und Weiblichkeit Edithas nahm ihn alsbald so ein, daß er diese als seine Braut erwählte. Die zweite Schwester fand auch bald einen Gemahl in dem burgundischen Herzog Alberich. Editha kehrte aber nicht wieder nach England zurück, sondern blieb in ihrer neuen Heimat, wo auch im Herbst, wahrscheinlich zu Quedlinburg, die Hochzeit in königlicher Weise gefeiert wurde. Magdeburg hat dann oftmals die Königin Editha gesehen; hier verweilte sie zusammen mit König Otto, oft auch allein, wenn dieser fern in Deutschland beschäftigt war; hier erfreute sie sich an dem heranwachsen ihrer beiden Kinder Ludolf und Luidgard. Und sicherlich kann man annehmen, daß sie auch hier gestorben ist. Denn nicht allzulange sollte die anmutige und menschenfreundliche Fürstin ihrem Gemahl Otto zur Seite stehen, schon im Jahre 946, am 26. Januar, wurde sie unerwartet vom Tode hingerafft, als sich ihr Gemahl gerade auf der Jagd befand. Die Trauer über den Hingang der Königin war unter dem ganzen Sachsenvolke eine allgemeine, aber vor Allem betrauerte Magdeburg in ihr seine Wohlthäterin. Hier wurde sie auch in der Kirche des durch ihre Wohlthätigkeit reichlich ausgestatteten Moritzklosters beigesetzt und ihr einfacher Steinsarg in einer der Kapellen der Kirche aufgestellt, denn nach der frommen Sitte der damaligen Zeit wurden an dem Grabe zu bestimmten Zeiten des Jahres Messen gelesen und Gebete gesprochen. Das Grab der Editha fand auch in dem neuen Dom eine Stätte in der östlichsten Kapelle im Chorumgange. Erst später wurde ein schöneres Denkmal gesetzt, das in einem Grabmal aus Sandstein besteht. Oben auf zeigt sich in halb erhabener Arbeit die Gestalt der Editha, die Augen halb geschlossen und den Rosenkranz in der linken Hand haltend. An den vier Seiten des Denkmals befinden sich verschiedene Bildsäulen und Wappen.An dem Kopfende ist der kaiserliche Doppeladler mit der von zwei Engeln getragenen Krone angebracht. Daneben die Bildsäulen der h. Maria und h. Anna, ihrer Mutter. Am Fußende sieht man das englische Wappen und zu beiden Seiten die Bildnisse des h. Moritz und der h. Katharina, beide Schutzheilige des Domes. An der einen Langseite befindet sich das sächsische Wappen, in der Mitte zwischen denen der h. Elisabeth und der h. Hedwig - sie ist die Schutzpatronin Polens - und zwar so, daß die Bildnisse der beiden heiligen Frauen zwischen den Wappen stehen. Auf der anderen Langseite sind in derselben Anordnung das erzstiftliche Wappen und die Wappen und Bildnisse der h. Adelheid (der zweiten Gemahlin Ottos) und der h. Kunigunde (Gemahlin des deutschen Kaisers Heinrich II.). Der alte Steinkasten, in dem die Gebeine der Königin ruhen, steht jedenfalls unter diesem Grabdenkmal. Nach der Angabe der Beschreibungen, die man aus dem 16. und 17. Jahrhundert besitzt, soll dieses Denkmal sogar das älteste in dem altehrwürdigen Dome sein, allein das ist doch nur ein frommer Irrtum, da nicht blos die Namen der Heiligen, sondern auch die Bauart und Kunst selbst auf eine spätere Zeit zurückweisen. Da auch das sächsische Wappen angebracht ist, so ist wohl die Annahme gerechtfertigt, daß der Erzbischof Ernst, der von 1476 bis 1513 regierte, in frommer Erinnerung an die Verdienste Edithas dieses schöne Denkmal errichten ließ.
Nach dem Tode seiner geliebten Editha entzog Otto seine Huld den neuen Stiftungen keineswegs; er wendete ihnen noch weit reichere Schenkungen zu und suchte Magdeburg zur ersten Stadt seines Sachsenlandes zu machen. Die Kirche, in der die Gebeine seiner Editha ruhten, schmückte er kostbar aus; 19 Tonnen Goldes soll er zum Bau derselben verwendet haben, und verschaffte ihr durch Niederlegung von einer großen Anzahl von Reliquien berühmter Heiligen ein großes Ansehen. Zuletzt faßte er ja den Plan, hier ein Erzstift zu begründen, so daß Magdeburg der geistliche Mittelpunkt des östlichen Teiles seines Reiches werden sollte. Trotz seiner kaiserlichen Macht wurde es ihm aber nicht leicht gemacht, seinen Lieblingsplan auszuführen, da sich ganz besonders der Bischof Bernhard von Halberstadt, zu dessen Sprengel das Magdeburger Land gehörte, gegen die Errichtung eines Erzstifts in Magdeburg und die dadurch notwendig eintretende Verkleinerung seines Kirchensprengels sträubte. Der Kaiser konnte selbst durch Androhung von Gewalt den Sinn des hartnäckigen Kirchenfürsten nicht beugen, und mußte schließlich den Tod desselben abwarten. Davon, wie der Kaiser es aufgab, den Halberstädter Bischof zur Einwilligung zu zwingen, wird folgende sagenhafte Erzählung berichtet:
"Der Kaiser Otto, der schon die Erlaubnis und Genehmigung des Papstes Johannes zur Errichtung eines Erzstiftes erhalten hatte, war schließlich auf den Bischof Bernhard wegen dessen harnäckiger Weigerung, einen Teil seines Sprengels an das neue Stift abzutreten, so erzürnt, daß er ihn in der Stadt Quedlinburg gefangen setzen ließ. Er hatte beschlossen, ihn so lange dort gefangen zu halten, bis er von seiner Weigerung abstehen würde. Da, als der grüne Donnerstag herangekommen war und der Bischof seines Amtes, dessen er sonst in seiner Stiftskirche zu walten hatte, gedachte, ließ er sich von einem seiner Getreuen seine bischöflichen Gewänder und Abzeichen kommen, legte dieselben an und schickte sodann einen Boten an den König, der gerade in Quedlinburg sich aufhielt, mit der Bitte, zu dem Bischof zu kommen. Der König willfahrte ihm, in der Meinung, der Bischof habe sich eines besseren besonnen und wollte ihm nun seine Zusage verkünden. Als er aber in das Gefängnis des Bischofs gekommen war, da erhob derselbe seine Hand und sprach feierlichst den Kirchenbann über den König aus und verbot in seinem Bistum jeglichen Gottesdienst. Anfangs erschien der ganze Vorgang dem Kaiser lächerlich und er spottete des unsinnigen Prälaten, bald aber bedachte er doch die möglichen Folgen, da man schon überall laut über die Einstellung der Gottesdienste murrte, und entließ den Bischof aus seiner Haft. Dieser kehrte nun nach seinem Bischofsitze Halberstadt zurück und auch der Kaiser folgte ihm, in der Hoffnung, er werde jetzt nachgiebiger gesinnt sein. Doch er hatte sich sehr getäuscht, der Bischof weigerte sich ihn zu empfangen. Da blieb dem Kaiser nichts weiter übrig, als sich vom Banne zu lösen. Er ritt aus der Stadt, legte seine königliche Kleidung ab und erschien im Büßergewand und barfuß wieder in der Stadt. Da ging ihm der Bischof mit der ganzen Geistlichkeit entgegen, empfing ihn als seinen kaiserlichen Herrn und löste ihn von dem Banne unter der Ablegung des Versprechens, den Bischof nie mehr zu bitten, die Einwilligung zur Errichtung eines neuen Bistums zu geben. Der Kaiser habe dann das Osterfest in Halberstadt gefeiert, weiterhin aber bis zum Tode Bischof Bernhards von seinem Vorhaben abgestanden."
Und wie Otto im Leben all seine Fürsorge der Magdeburger Kirche zugewandt hatte, so wollte er auch im Tode in derselben eine Ruhestätte haben, in derselben Kirche, wo auch seine geliebte Editha schon lange eine solche gefunden hatte. Schon bei seinen Lebzeiten hatte er verordnet, daß er neben der Gemahlin bestattet würde. - Die Kaiserin Adelheid, die zweite Gemahlin Ottos, ist in Aachen bestattet. - Als daher Otto I. am 7. Mai 973, es war Mittwoch vor dem Pfingstfeste, zu Memleben an der Unstrut gestorben war, in einem Alter von 60 Jahren und 5 1/2 Monaten, wurde sein Leichnam einbalsamiert und sodann von seinem Sohn und Nachfolger in der Herrschaft, Otto II., in Begleitung der Kaiserin Adelheid und einer großen Anzahl geistlicher und weltlicher Herren nach Magdeburg überführt. Hier wurde er in einem einfachen Steinsarge beigesetzt und zwar wie einige der späteren Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts berichten, in einer Krypta der Domkirche, d. h. in einer unterirdischen, unter dem hohen Chor befindlichen Kapelle. Hier sei er, wie schon ein Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts mittheilt, mit dem königlichen Schmuck angethan, begraben wurden und so noch zu sehen; auch ein anderer aus späterer Zeit, daß Leute, die den Leichnam gesehen, berichtet hätten, der Körper sei durch die Einbalsamierung nunmehr nach 500 Jahren so fest geworden, daß der Kaiser wie unversehrt auf seinem Stuhle sitze. Man erzählte also ähnliches wie von Karl dem Großen in der Gruft zu Aachen. Von einer unterirdischen Kapelle (Krypta) ist freilich jetzt nichts zu finden und nachzuweisen, allein wahrscheinlich ist es doch, daß die älteste Domkirche eine solche gehabt hat und daß sie vielleicht verschüttet worden ist, nachdem der Sarg, in welchem Ottos Gebeine ruhten, herausgenommen worden war, um in der neuerbauten Kirche beigesetzt zu werden. Hier hat er seine Stelle im Chor gefunden, wo jetzt der Stein mit einem eisernen Gitter umgeben ist, während der Sarg der Editha einen anderen Platz einnimmt. Nach dem Berichte späterer Chronisten war das Grab von einer kunstreichen Einfassung aus gediegenem Silber umgeben, auf der in goldenen Buchstaben die Worte gestanden hätten:
Tres luctus causae sunt hoc sub marmore clausae,
Rex, decus ecclaisae, summus honor patriae.
(Drei Ursachen der Trauer sind eingeschlossen unter diesem Marmorstein: Weil er König war, eine Zierde der Kirche und die höchste Ehre des Vaterlands.)
Diese silberne Einfassung sollten die Bürger Magdeburgs in der Zeit des schmalkaldischen Krieges geraubt, nach andern sollen sie erst die kaiserlichen Soldaten bei ihrem Abzuge aus der Stadt 1632 mitgenommen haben. Späterhin war eine einfache Holzeinfassung angebracht.
Ein drittes Denkmal für Otto und Editha in dem Dome ist die sogenannte Otto-Kapelle, welche früher an der westlichen Seite des Kanzelpfeilers stand, im Jahre 1826 jedoch in eine der fünf Chorkapellen gestellt wurde. Ehemals hatte die Kapelle ein pyramidales Dach, das aber im vorigen Jahrhundert abgeschlagen wurde. So sollte sie nach der Meinung der alten Magdeburger Geschichtsschreiber eine Nachbildung der ersten Domkirche sein, wie sie von Otto I. erbaut worden war, und zugleich der alten St. Mauritiuskirche, die die Krieger Ottos dort im Rhonethale zerstörten. In dieser Kapelle befinden sich die 3 1/2 Fuß hohen Figuren Ottos und Edithas auf einem Doppelthron sitzend. Sie haben sehr ernste Gesichtszüge, lang herabfallendes Haar und hochgezogene Augenbraunen und weisen auch in dem sonstigen Mißverhältnis der Schenkel auf eine alte Zeit zurück. Die Mäntel beider Figuren werden auf der Brust durch Schlösser zusammengehalten; der des Kaisers fällt auseinander, während Editha ganz von dem ihrigen eingehüllt ist. Letztere hat zum Zeichen ihrer Frömmigkeit ein aufgeschlagenes Evangelienbuch in der Hand, während Otto in seiner Rechten eine Scheibe trägt, worin sich 19 Kugeln befinden, welche die Anzahl der Tonnen Goldes bezeichnen sollen, die Otto zur Bau der ersten Domkirche verwendet hatte. Das Szepter, welches er in der linken Hand hielt, ist abgebrochen und nicht wieder erneuert worden. So war die Figur auf den Abbildungen aus dem 17. Jahrhundert, die freilich schlecht genug sind, noch zu sehen. Als das Dach noch über der Kapelle war, hing im Innern desselben ein schwebender Engel an einer eisernen Stange herab. Dieser Engel fiel in der Nacht desselben Tages herab, an welchem in Osnabrück der Friede unterzeichnet wurde, durch den die Hoffnungen der Magdeburger auf Selbstständigkeit und Reichsfreiheit vernichtet wurden. Man erzählt, daß man während der Nacht einen gewaltigen Knall in der Domkirche gehört habe, sodaß die Leute, die am Kreuzgang wohnten, davon aufgeweckt worden seien. Als man nun am Morgen nachsah, fand es sich, daß der an einer ziemlich dicken Eisenstange hängende Engel heruntergefallen und die Stange selbst zerbrochen war. Diesen Vorfall deutete man nachher auf den Unstern der Stadt Magdeburg.
Alle die genannten Denkmäler werden für alle Zeiten das Andenken an die beiden Begründer und Wohlthäter Magdeburgs lebendig erhalten. Aber auch die Sage hat die fromme und gottesfürchtige Gemahlin Ottos verherrlicht, obwohl uns nur einige wunderbare Erzählungen überliefert sind. Doch schon der alte Geschichtsschreiber Thietmar, der, ein geborener Graf von Walbeck, die Schule des Kloster Berge besuchte und späterer Bischof von Merseburg wurde, berichtet uns, daß Editha wie eine Heilige verehrt worden und daß Wunderzeichen durch sie geschehen seien. Nur weniges hat sich jedoch von solchen Sagen erhalten, aber man sieht, wie gerade ihre Frömmigkeit und Wohlthätigkeit sich in dem Gedächtnis und Andenken des Volkes erhielt.
Einstmals als die Königin Editha sich in der Königspfalz zu Magdeburg aufhielt, ereignete sich eine wunderbare Geschichte, die da zeigt, wie selbst die Tiere des Waldes Zutrauen zu der milden und frommen Frau hegten. In einer Nacht, als der König selbst nicht in Magdeburg weilte, hörte man ein lautes Pochen an der Thür des königlichen Gehöfts, so das die Königin, die es hörte, einem ihrer Diener hinaussandte, um nach dem Begehren des Pochenden zu forschen. Als der Diener die Thür geöffnet hatte, kam eine ungezähmte Hirschkuh herein und eilte furchtlos bis in das Gemach der Königin, wo sie sich vor derselben niederließ, als ob sie ihr ein ihr zugestoßenes Unglück erzählen wollte.
Flehentlich heftete sie ihre klugen Augen auf die hohe Frau, so daß diese wohl merkte, daß irgend ein Schmerz das arme Tier quälte. Daher befahl die Königin einem ihrer Jäger, dem Tier zu folgen und mit ihm zu gehen, wohin es ihm führen würde. Dies geschah, und gleichsam freudig erregt, sprang die Hirschkuh auf und lief dem Jäger voraus hin zur Elbe. Als sie nun weiter über die Elbe in das jenseits sich hinstreckende Gehölz gekommen waren, führte das Tier den Jäger bis an eine Stelle, wo ihr Junges fest in einer Schlinge gefangen war. Sobald aber der Jäger das Junge aus derselben befreit hatte, sprang die Hirschkuh froh in den Wald hinein.
Vor alten Zeiten, als Buckau noch ein armseliges Dorf war, stand daselbst eine Burg, deren Befehlshaber ein tapferer Ritter mit Namen Willfried war. Oft streifte dieser, um des Weidwerk zu pflegen, in dem Walde umher, der damals noch die Ufer der Elbe und die zwischen den Elbarmen gelegenen Inseln bedeckte. Wie er nun eines Tages wieder in den Wald gegangen war und lange dem Wilde nachgespürt hatte, legte er sich endlich ermüdet am Ufer nieder, um zu ruhen. Da war es ihm, als sehe er auf der Elbe einen kostbaren Nachen in Gestalt einer riesigen Seemuschel, der von zwei Schwänen gezogen wurde. In der Muschel aber saß eine schöne Jungfrau in einem Gewande, aus Silberstoff gewirkt und mit Edelsteinen besetzt, und mit einem Kranze aus Schilf und Wasserrosen auf dem goldenen Haar; zugleich hörte er eine wundersame Musik. Alles kam ihm vor wie im Traum, und da er nun aufsprang, um seines Weges weiter zu gehen, sah er zu seinem Erstaunen, daß alles wirklich und keine Täuschung wäre. Wie ihm nun die Jungfrau zuwinkte, trat er schnell herzu, stieg in den Nachen, und dieser fuhr schnell nach dem jenseitigen Ufer. Hier führte ihn die Fremde durch dichten Wald nach einer lichten Stelle, wo sie sich auf eine Moosbank setzte, während sich der Ritter ihr zu Füßen niederließ.
Jetzt erzählte ihm die Jungfrau, daß sie Elwine, die Beherrscherin der Elbe, sei; von Zeit zu Zeit nähme sie Menschengestalt an und verließe ihren Wasserpalast, um auf der Oberwelt zu weilen. Ihn habe sie sich zum Gemahl auserkoren; doch dürfe er niemals Mißtrauen gegen sie haben, da sie sonst auf ewig von ihm scheiden müsse. Gerne versprach ihr das der Ritter, und als es anfing mit dunkeln, da kamen von allen Seiten Wassernixen herbei, führten wunderbare Tänze auf und sangen folgende Weise:
Wenn rings tiefe Stille, kein Auge mehr wacht,
Wir leise dem Wasser entsteigen,
Wenn rings umher glänzt die prächtige Nacht,
Kein Laut stört das nächtliche Schweigen,
Dann schlüpfen wir leise und geisterhaft sacht
Zum grünen Rain
Zum blumigen Thal;
Im dunklen Hain
Beim Mondesstrahl
Wir führen den nächtlichen Reigen
Und schwingen
Und schlingen
Und schmiegen
Und biegen
Uns lustig
Und duftig
Auf grünen Kranz
Und drehen
Und schweben
Und wehen
und weben
Im zauberischen Tanz
Als endlich die Stund des Abschieds schlug, geleitete ihn die Wasserfee zu dem Strande zurück, blies in ihr rotes Muschelhorn, und alsbald erschien der silberglänzende Nachen und führte den Ritter an das heimatliche Ufer hinüber. Von nun an war er fast jeden Tag drüben auf der Insel bei seiner Nixenbraut und verlebte hier seine glücklichsten Stunden. So vergingen etliche Jahre, ohne daß Willfried je an der Treue seiner Geliebten gezweifelt hätte. Da er nun eines Tages wieder auf der Insel weilte, wollte ihn die Beherrscherin der Elbe früher als sonst von sich lassen, und als er sie darob fragend anschaute, erzählte sie ihm, daß sich heute ihre Schwestern, die Beherrscherinnen der Saale, Unstrut und Elste, hier versammeln würden. Daher könne er nicht bleiben; denn kein sterblicher dürfe ihrer Beratung beiwohnen. Willfried schied mit schweren Herzen und schritt dem Ufer zu. Weil er aber meinte, Elwine habe anderes im Sinne und könnte ihn betrügen, ging er nach einiger Zeit nach dem Orte zurück, wo er sie verlassen hatte, und sah sie dort wirklich im Kreise ihrer lieblichen Schwestern sitzen. Kaum aber hatte er den Ort betreten, so stießen alle einen Schrei aus; ein heller Lichtstrahl blendete ihn, und gleich darauf waren die Nixen verschwunden. Jetzt gedachte er seines Versprechens, der Wasserjungfrau nie mißtrauen zu wollen, eilte klagend zum Ufer und rief vergeblich den Namen seiner Geliebten.
Da erfaßte den Ritter Verzweiflung, und er warf sich am Ufer nieder, wo er endlich erschöpft einschlummerte. Als er am Morgen erwachte, eilte er noch einmal zurück nach der Stelle, wo er so glückliche Stunden zugebracht hatte, vielleicht, daß er die Verlorene noch einmal sähe, aber vergebens. Doch fand er zu seiner großen Freude das Horn Elwinens, blies hinein; aber es versagte den Dienst, und traurig wandte er sich endlich mit dem teuern Andenken heimwärts.
Still und zurückgezogen lebte er von der Zeit an in seiner Burg; doch weilte er oft am Elbstrande, wo ihm einst der Nachen erschienen war. An der Stelle der Insel aber, wo er so oft mit der Nixe zusammengetroffen war, ließ er sich, als ihn das Alter sein Amt niederlegen ließ, eine Wohnstätte herrichten, über deren Thür er das rote Horn Elwinens anbrachte. Hier verlebte er ruhig und friedlich seine letzten Tage, und als er gestorben war, begrub man ihn seinem Willen gemäß neben dem Häuschen.
Wunderbarer Weise fand man seinen Grabhügel fast täglich mit frischen Blumen geschmückt, bis er eines Tages ganz verschwunden war und an seiner Stelle eine Quelle hervorsprudelte.
Das Haus mit dem roten Horn ist verschwunden, doch erinnert der Name jener Gegend noch immer an jene Begebenheit
Aus Magdeburgs Sage und Geschichte, W. Leinung und R. Steinvoll
Beim Beginne des 13. Jahrhunderts befand sich an der Stelle des "goldenen Pflugeisens" am Breitenwege eine einfache Herberge. Sie gehörte zu dem nördlichen Vororte Magdeburgs; denn die Stadt reichte damals nur bis in die Gegend des heutigen Viktoriaplatzes.
Am Abend des Palmsonntages im Jahre 1207 ging es lebhafter als sonst in der Herberge zu. Viele Fremde waren nach Magdeburg gekommen und hatten dem prächtigen und glanzvollen Einzuge des neuen Erzbischofs Adalbert zugesehen. An diesem Tage war auch ein armer Handwerksgesell, namens Kaspar, auf seiner Wanderschaft in die Stadt gekommen und suchte in der Herberge der Vorstadt Unterkunft. Er hatte aber keinen Pfennig Geld, um Hunger und Durst zu stillen. Da nahm sich des Wirtes Tochter Brigitte seiner an und versorgte ihn mit Speise und Trank. Er versprach, später seine Zeche zu zahlen, und ließ als Pfand ein altes Pflugeisen zurück; daselbe war ein Erbstück der Familie und sollte, so glaubte man, dem Eigentümer Glück bringen.
Jahre vergingen, hartes Schicksal betraf inzwischen die Bewohner der Vorstädte. Das Heer des Kaisers Otto IV. unternahm einen Rachezug in das Erzbistum und plünderte und verwüstete die Vororte Magdeburgs. Durch die Wiedereinrichtung der verwüsteten Herberge geriet Brigittens Vater in Schulden. Er starb, und Brigitte hatte mit Not und Sorgen zu kämpfen. Das Pflugeisen bewahrte sie aber getreulich auf als Erinnerung an bessere Zeiten.
Eines Abends trat ein fremder Reitersmann von stattlichem Aussehen in die Wirtsstube. Er begrüßte Brigitte herzlich und gab sich als Kaspar zu erkennen, dem sie einst Gutes erwiesen hatte. Beim Abschied legte er ein großes Geldstück als Bezahlung der alten Zeche auf den Tisch. Das Pflugeisen aber wollte er am nächsten Tage mit sich nehmen, und Brigitte stellte es hinter den Schenktisch. Dort fiel es dem Nachbar Waffenschmied auf, er nahm es in die Hand und verwunderte sich über die ungewöhnliche Schwere desselben. Ein anderer täglicher Gast, ein Goldschmied, prüfte es mit ebenso erstaunten Augen. Jeder suchte nun Brigitte heimlich zu überreden, das alte Gerät ihm zu überlassen. Aber sie wollte es nur dem Besitzer, dem Reitersmann ausliefern, der ja versprochen habe wiederzukommen. Bald darauf kam auch Kaspar, und sogleich berichtete ihm Brigitte, wie sie dem Drängen der Beiden widerstanden hätte. Er lachte lustig und fragte scherzend den Waffenschmied und den Goldschmied, wieviel sie ihm für das alte Eisen zahlen wollten. Nun überbot einer den andern. Plötzlich machte ein Fremder, der inzwischen herangetreten war, ein Gebot von tausend Goldgulden. Der bietende Fremde hatte den Wert des alten Pflugeisens erkannt; es bestand aus reinem Golde. Nun wurde ein Sachverständiger gerufen, und dieser schätzte das goldene Gerät auf dreitausend Goldgulden.
Kaspar verkaufte die golden Pflugschar und wurde dadurch ein reicher Mann; er gab der Reitersdienst auf und vermählte sich mit Brigitte, die ihm das glückbringende Pflugeisen getreulich bewahrt hatte. Sie ließen sich ein neues, schöneres Haus bauen und über dem Eingange das Bild eines "goldenen Pflugeisens" anbringen als Gedenkzeichen an ihr Glück.
Aus Magdeburgs Sage und Geschichte, W. Leinung und R. Steinvoll
Die Sage von der fehlenden Krone am südlichen Domturme
Das fehlen der Kreuzblume am südlichen Domturme hat zu mancherlei Mutmaßungen Veranlassung gegeben. Am wahrscheinlichsten ist, daß die Krone wenn überhaupt eine solche vorhanden war, von einem Unwetter zerschlagen wurde und herabstürzte, wie das auch vom Domprediger Dr. Sack in dem vierten Teile seiner "Postillen über die Evangelia, am Tage Mauritii" bezeugt wird. Obwohl nun die Krone schon lange vor dem dreißigjährigen Kriege nicht mehr vorhanden war, so verlautet doch eine Sage, die die Zerstörung des Turmschmucks in diese Zeit verlegt und darüber folgendes berichtet.
Während der Belagerung von Magdeburg im Jahre 1631 hatte der Magdeburger Oberst von Boye mit vieler Mühe einige Geschütze auf die Galerien des südlichen Domturmes schaffen lassen, mit denen die Laufgräben der Feine und deren Batterien beschossen wurden. Diese "gezogenen Röhren" bediente man mit so großem Geschick, daß sie den Feinden ungeheuren Schaden zufügten, und ihre Batterien vor Sudenburg bald zum Schweigen brachten. Als Pappenheim davon hörte, begab er sich selbst nach jener Stelle, um zu sehen, was sich thun ließe. Da wurde er zu Tilly gerufen, der eben über einen Kroaten, der entlaufen und wieder eingefangen war, Gericht hielt und ihn zum Tode verurteilte. Pappenheim erzählte dem General, was sich zugetragen hatte, und der Kroat, der mit gebundenen Händen in der Nähe stand und des Todes gewärtig war, hörte den Inhalt ihres Gesprächs. Da stürzte er vor den beiden Befehlshabern auf die Kniee und flehte um sein Leben; er wolle dann mit drei Schüssen die Krone vom Domturme herunterschießen. Tilly versicherte ihn seines Lebens, wenn er das könne, und befahl ihm, sofort das Geschütz zu richten. Der Kroat wurde nun auf einen Hügel vor der Sudenburg geführt, auf dem die am meisten bedrohte Batterie stand, zielte und traf wirklich mit dem ersten Schuß die Krone des südlichen Domturmes; er zerstörte sie mit dem zweiten und dritten Schuß vollständig, so daß sie zerborsten herabstürzte, und von Stund an verstummten die feindlichen Geschütze.
So hatte sich der Kroat durch seine Kunst das Leben gerettet, und noch bis auf den heutigen Tag heißt jener Hügel, von wo aus er die Meisterschüsse gethan hatte, der Kroatenberg.
Aus Magdeburgs Sage und Geschichte, W. Leinung und R. Steinvoll
In einer Mauer des Kroatenthors, das am Ende des Breiten Weges im Norden der Stadt lag, befand sich ein altes Wahrzeichen, daß aus zwei eingemauerten, steinernen Füßen bestand und von welchem folgende, schauerliche Sage erzählt wird:
Als nämlich Kaiser Otto Magdeburg zu einer Festung zum Schutze gegen die Wenden machen wollte, da trug es sich zu, daß das alte Krökenthor jedesmal, wenn es fertig geworden war, wieder einstürzte, ohne daß man die Ursache davon entdecken konnte. Da befragte der Kaiser einen Sterndeuter um den Grund, und derselbe gab, nachdem er die Sterne um Rat gefragt hatte, zur Antwort, das Thor werde nicht eher bestehen, bis ein von einer Mutter freiwillig angebotenes Knäblein lebendig miteingemauert werde. Obwohl nun der Kaiser und seine Räte daran zweifelten, eine so gottlose Mutter zu finden, so gab man doch dem Scharfrichter der Stadt den Auftrag zuzusehen, ob er nicht für einen hohen Preis ein solches Kind kaufen könne. Derselbe bemühte sich lange umsonst; doch fand er endlich ein Weib, das bereit war, ihr Knäblein zu diesem Zwecke hinzugeben. Obgleich man sie ermahnte, ihre That wohl zu bedenken, blieb die lieblose Mutter, deren Herz ganz von Goldgier und Weltlust erfüllt war, bei ihrem Entschlusse, gab den Knaben hin und machte sich mit dem Sündenlohn davon. Das unglückliche Kind aber wurde wirklich in einer Nische des Gemäuers lebendig eingemauert; doch ließ man oben eine Öffnung, damit es nicht ersticken könne. In der That wurde nun das Thor vollendet, ohne daß das Mauerwerk einstürzte. Niemand kümmerte sich mehr um das eingemauerte Kind, und bald war die gräßliche That in Vergessenheit geraten.
So mochten wohl 50 Jahre vergangen sein, als einst ein altes Mütterchen zu dem damaligen Erzbischof Giselher kam und ihn fußfällig anflehte, doch nach ihrem Knaben suchen zu lassen, der vor vielen Jahren beim Bau des Krökenthores lebendig mit eingemauert sei. Hierauf erzählte sie dem staunenden Erzbischof ihre Geschichte und fügte hinzu, daß sie seit jener Zeit, von Gewissenqualen gefoltert, bei Verwandten in Thüringen gelebt habe. Da sei ihr in den letzten Wochen der Knabe oft im Traume erschienen und habe ihr gesagt, daß er noch lebe; denn Vögel, die in der Maueröffnung nisteten, hätten ihm immer mit den Schnäbeln Nahrung zugetragen. Da habe sie keine Ruhe mehr gehabt und sich nach hierher aufgemacht; als sie aber durch das Thor gegangen sei, da habe sie deutlich aus dem Gestein "Mutter" rufen hören. Der Erzbischof, der auch von jener Schreckensthat gehört, erbarmte sich des flehenden Weibes und ließ Leitern an das Gemäuer setzen. Das Weib bezeichnete die Stelle, und ein beherzter Steinmetz stieg hinauf, räumte einiges Mauerwerk weg und fand die Nische und in ihr zu seinem Entsetzen eine menschliche Gestalt, die ihn mit feurigen Augen anstarrte. Man zog sie hervor und erblickte ein altes Männchen mit grauem Haar und langem, zottigem Bart und konnte auch die Stelle sehen, von wo aus die Vögel ihm Brot dargereicht haben. Als es zur Erde gebracht wurde, war es leblos und wurde nach christlichem Gebrauche beerdigt. Die unnatürliche Mutter aber war verschwunden, und erst lange Zeit nachher fand man ihre Leiche auf einem Sandhügel vor, wo sie auch eingescharrt wurde. Noch heutigen Tages aber soll man an jener Stelle von Zeit zu Zeit ein helles Flämmchen erblicken, welches die Stelle andeutet, wo die gottlose Mutter begraben wurde.
Die Nische aber wurde wieder vermauert und zum Andenken an das grausige Ereignis zwei steinerne Füße an jener Stelle angebracht.
Aus Magdeburgs Sage und Geschichte, W. Leinung und R. Steinvoll
Es sind schon vorher der Figuren Erwähnung gethan, die über der sogenannten Paradieshalle zu sehen sind: ein Schäfer mit seinem Hunde, und daneben ein anderer mit zwei Hunden, welch letztererauch der Knecht des Schäfers genannt wird. Diese Figuren sind als ein Andenken an die werkthätige und wunderbare Hilfe und Unterstützung angebracht worden, die ein einfacher Schäfersmann dem Fortgang des Dombaues angedeihen ließ.
Der Erzbischof Albrecht, der großen Eifer und Beharrlichkeit den großartigen und herrlichen Aufbau des in Trümmern gesunkenen Domes ins Werk setzte und betrieb, hatte bald Not und große Mühe, die zu der Weiterführung des Baues notwendigen Gelder herbeizuschaffen. Die anfangs so bereitwillig zugesagte Hilfe der vornehmen Stiftsvasallen und der Bürger der Stadt Magdeburg erlahmte bald, als man sah, daß das Werk bedeutend mehr Kosten verursachte, als man geglaubt hatte. Da sollte der Erzbischof durch die opferwillige Spende eines einfachen Schäfers aus aller Not befreit werden.
Eines Tages nämlich saß der Schäfer, der die Herden des Klosters Berge weidete, mit seinem Knechte zusammen draußen im freien Felde, auf einem großen Steine, und verzehrte sein Frühstück. Es war seine Gewohnheit, an dieser Stelle zu frühstücken, noch niemals aber hatte er etwas Besonderes daselbst bemerkt. Während er und sein Knecht im besten Essen begriffen waren, lief eine Maus in der Nähe des Steines, auf die die Hunde des Schäfers sofort Jagd machten. Doch die Maus war geschwinder und verkroch sich unter den Stein, auf dem die Frühstückenden saßen. Nun begannen die Hunde zu kratzen und zu scharren, wie es Hunde zu tun pflegen, um die Maus aus ihrem Versteck herauszujagen. Aber siehe da, anstatt der Maus scharrten sie einige alte Münzen hervor. Der Schäfer hob diese verwundert auf und erkannte bei einer genauen Besichtigung, daß es Goldmünzen waren. Nun vermutete er sogleich, daß da unter dem Steine ein Schatz verborgen liegen müsse. Mit Hilfe seines Knechtes wälzte er denselben von der alten Stelle weg und gleich als ob er gerade der Auserwählte sein sollte, den Schatz zu heben: der große, schwere Stein ließ sich mit leichter Mühe und ohne große Anstrengung fortbewegen. Sobald dies geschehen, gruben beide an der Stelle, wo die Hunde angefangen hatten zu scharren, nach und entdeckten nicht tief unter dem Erdboden eine ziemlich umfangreiche Braupfanne, vollgefüllt mit alten, guten Goldstücken, sodaß sie Mühe hatten, die schwere Pfanne herauszuheben.
So war der bisher arme Schäfer mit einem Male ein reicher Mann geworden. Doch was sollte er mit dem großen Reichtum anfangen? Als sich die Nachricht von der Auffindung des Schatzes verbreitete, kam der Abt des Klosters Berge und andere fromme Brüder zu dem Schäfer und suchten ihn zu bestimmen, daß er den Schatz oder einen Teil desselben zum Besten des neuen Domes verwende. Sobald der Schäfer, der ein gar frommer Christ war, diese Worte der frommen Brüder und seines Herrn, des Abts vom Berge, gehört, als er auch aufs bereitwilligste darauf einging; denn er sah die Meinung der Geistlichen als eine Mahnung Gottes selbst an.
Schon am folgenden Tage begab er sich zum Erzbischof Albrecht, und brachte ihm den ganzen Schatz, mit der Bitte, das Geld zum Bau des Domes zu verwenden. Als der Schäfer seinen Bericht von der Sonderbaren Auffindung des Schatzes beendet hatte, geriet jener in nicht geringe Verwunderung, und er konnte die Freigibigkeit und den frommen Sinn des Schäfers nicht genug rühmen und loben. Gern nahm er das ihm dargebotene Gold, welches ihm wie vom Himmel gesendet erscheinen mußte, denn schon hatte er einen Teil der Werkleute entlassen, weil das Geld für die große Anzahl derselben nicht mehr ausreichte.
Nun begann der Erzbischof mit neuer Lust an dem Werke zu bauen, den Schäfer aber ließ er in seinem eigenen Palaste wohnen und in Ehren halten, damit er sich immer an dem Bau, der nunmehr von dem ihm gehörigen Gelde weitergeführt wurde, ergötzen könne. Mit dem Baumeister zusammen beaufsichtigte er zugleich den Fortgang desselben bis zu seinem Tode.
Damit die Nachwelt aber von der That des Schäfers erführe, so ward da, wo es heute noch sichtbar ist, das Bild des Schäfers samt dem seine Knechtes, mit dessen Hilfe er den Schatz gehoben hatte, über dem nördlichen Eingang angebracht, der für die gläubigen der Haupteingang war, damit es allen leicht ins Auge fiel. Auch die Höhe, bis zu der der Bau mit dem Golde des Schäfers geführt wurde, bezeichnet man dadurch, daß an der nördlichen Seite des Turmes, nach der Seite des neuen Marktes zu, ein Stern angebracht wurde.
Den Namen des Schäfers hat die Sage nicht überliefert. Erst später erzählte man, daß derselbe Koppehel oder Koppehle geheißen habe und aus den Dorfe Gräfendorf, zwei Meilen von Jüterbock, gebürtig gewesen sei. Zur Belohnung für seine Freigibigkeit habe ihm der Erzbischof eine hohe geistliche Würde am Dom verliehen. Bei seinem Tode haber er aber ein großes Vermögen hinterlassen, wovon er zum Besten der Nachkommen seiner Geschwister eine milde Stiftung machte, in deren Genusse noch jetzt die Nachkommen jenes Geschlechts stehen. *)
*) In der That hat ein Georg Koppehle, Vikar der Domkirche und Kanonikus des St. Gangolpg´hs-Stifts, in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts die noch bestehende Stiftung gegründet, wie er auch auf dem von Plotho'schen Denkmale in der Domkirche (von 1598) als Testamentsvollstrecker genannt wird. Die Steinbilder am Dom sind aber viel früher als im XVI. Jahrhundert gemacht.